Warum Management und Führung getrennt werden sollte, welche Eigenschaften eine gute Führungskraft aufweisen sollte und wie die Führungskompetenz erlangt werden kann – Kambiz Poostchi erklärt es im Interview.

Seit mehr als 30 Jahren hat sich Kambiz Poostchi der Leadershipkompetenz verschrieben, systemische Lösungsansätze zu finden, damit Menschen ein erfolgreiches Miteinander auf beruflicher und privater Ebene leben können. Im Interview erläutert der WIFI-Lehrgangsleiter, welche Kompetenzen eine Führungskraft besitzen sollte und wie Leadership in jedem System eine wichtige Rolle einnimmt.

Wie hat die Corona-Pandemie die Führungskräfte und die Interpretation des Leaderships beeinflusst?
Ich konnte zwei Entwicklungen beobachten: Einerseits ist man aus Gewohnheit in ein Krisenmanagement verfallen. Die Bewältigung der Pandemie wäre die Gelegenheit für echte Führung gewesen, aber man hat und versucht es noch, diese mit Methoden des Krisenmanagements in den Griff zu bekommen, dies zeigt deutlich den Mangel an Führung. Das Krisenmanagement berücksichtigt nicht das ganze System, sondern nimmt die Themen zersplittert in Angriff. Dadurch bleibt das globale Bewusstsein auf der Strecke. Anderseits zeigt sich, dass sehr viele Unternehmen und einzelne Personen nachdenklich geworden sind und ihnen klar wurde, dass sie sich neu definieren müssen und vor allem neue Formen der Zusammenarbeit finden müssen. Auch sah man ganz deutlich, wenn es den Menschen schlecht geht, dann geht es der Wirtschaft, dem Finanzwesen, der Politik und allen anderen schlecht. Nur Konsumieren ist demnach nicht die Lösung. Die Achtsamkeit und die Bereitschaft, Neues zu lernen, nahm deutlich zu. Führungskräfte mussten vor allem lernen, zu vertrauen. Eine Misstrauenskultur verhindert die Entwicklung und Lernoffenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was auch die Führungskraft einschränkt.

Gibt es demnach neue Entwicklungen in Bezug auf Führung?
Das Thema Führung ist nicht neu, aber das Bewusstsein dafür schärft sich. Es ist immer noch weit verbreitet, dass zwischen Führung und Management nicht unterschieden wird. Meine Herangehensweise ist hingegen eine systemische. Denkt man an Unternehmen, Organisationen oder auch Familien und Partnerschaften, dann braucht es in jedem System eine Instanz, welche als Führung Verantwortung für das System übernimmt und nicht nur die Angelegenheiten im System managt. Ein Beispiel dafür ist die Rolle der Kapitänin oder des Kapitäns auf einem Schiff. Diese müssen nicht am besten mit Maschinen umgehen oder kochen können, aber sie bestimmen den Kurs des Schiffes und tragen die Verantwortung für das sichere Ankommen des Schiffes im Zielhafen.

Eine Führungskraft ist folglich nicht gleichgestellt mit einer Managerin oder einem Manager?
Nein, diese Funktion unterscheidet sich klar vom Management. Die Kapitänin oder der Kapitän müssen auf dem Schiff nicht viel Leistung erbringen, aber sie müssen über das Schiff hinausdenken können. Management wirkt im System und Führung wirkt auf das System. Traditionell besetzen wir die Führungsposition über die Fachkompetenz: Die beste Verkaufskraft wird beispielsweise zur Leitung des Vertriebs bestimmt, dies führt allerdings dazu, dass diese im Tagesgeschäft hängen bleiben und nicht führen. Wir haben sehr viel Management, aber einen Mangel an Führung.

Welche Kompetenzen sollte eine Führungskraft folglich haben?
Die Führungskraft sollte eine große systemische Kompetenz sowie auch soziale Kompetenzen besitzen und über den Tellerrand hinausblicken können. Das heißt, dass eine Abteilungsleiterin oder ein Abteilungsleiter mindestens den Blick für den ganzen Bereich haben muss und Bereichsverantwortliche das gesamte Unternehmen im Kopf haben sollten. Die fachspezifische Kompetenz darf bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben, es ist auch keine Schande, wenn diese im Fachlichen der Führung überlegen sind. Somit muss die Führungskraft sich auch nicht in einen Wettbewerb zu den Mitgliedern des eigenen Teams begeben, weil sie sich in ihrer Position bedroht fühlt.

Und woran erkennt man mangelnde Führung?
Ein Mangel an Führung löst ein Vakuum aus und lässt sich immer an Turbulenzen im System erkennen. Es treten Demotivation, Zunahme an Konflikten, Fluktuation, innere Kündigungen und weitere Probleme auf. Die richtige Vorbereitung auf eine Führungsfunktion ist allerdings kaum vorhanden.

Wie kann man sich für die Führungsposition rüsten?
Es gibt viele Managementkurse, aber das Kursangebot für Führung ist Mangelware. Deshalb bieten wir am WIFI Tirol den Kurs „Systemisches Leadership“ an. Hier geht es um systemisches Denken im Rahmen komplexer Organisationen, um systemische Leitprinzipien und Klarheit über die Funktion Führung und dessen dynamische Auswirkungen aufs Ganze. Den Lehrgang gibt es in Österreich an vier Standorten. Eine spezielle Veranstaltung, um in das Thema hinein zu schnuppern, ist die Tagesveranstaltung „Führung muss führen.“ Dort erfährt man den klaren Unterschied zwischen Management und Führung und die Wichtigkeit dieser komplementären Funktionen. Der Tageskurs ist für Personen, die sich ein Bild vom ganzen Thema machen wollen und auch die Grundlagen kennenlernen möchten.

Gibt es konkrete Führungsstile, die besser zu einem bestimmten Unternehmen passen?
Der richtige Führungsstil ist nicht von der Unternehmensgröße, -branche oder ähnliches abhängig, sondern vom systemischen Reifegrad der Belegschaft. Vergleichsweise müssen in einem familiären System Kleinkinder von den Eltern auch anders erzogen und geführt werden als Teenager. Ähnlich ist es im Unternehmen. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch unselbstständig sind, dann braucht es einen eher hierarchischen Führungsstil. Sind sie hingegen eigenständiger, dann mach es Sinn, ihnen Raum zu geben, Eigeninitiative zuzulassen und auch dementsprechend Informationen bereitzustellen. Sobald die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Reifestufe erreicht haben, in der sie unternehmerisch denken und realisieren, dass sie zum größerem Ganzen beitragen, sieht die Führung wieder anders aus. Insofern muss ein und dieselbe Führungskraft unterschiedlich führen, jeweils abgestimmt auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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